Entstehung, Eigenschaften und Vorhersage von Leewellen -
ein allgemeiner Überblick

[Dr. Erland Lorenzen, 
Deutscher Wetterdienst - Geschäftsfeld Luftfahrt]  

Dokumentinterne Links: 

1. .........Einleitung
2. .........Bildung und Eigenschaften von Leewellen
2.1 .......Allgemeines
2.2 .......Merkmale von Leewellen
2.3 .......Wellentypen
2.4 .......Voraussetzungen für die Leewellenbildung
2.4.1 ....Temperaturprofil
2.4.2 ....Windprofil
2.4.3 ....Zusammenwirken von vertikaler 
             Temperatur- und Windverteilung

2.4.4 ....Topographische Faktoren
2.4.4.1 ..Die Berghöhe
2.4.4.2 ..Die Bergform
2.4.4.3 ..Der Abstand zwischen den Bergkämmen
2.4.5 .....Luftstromfaktoren
2.4.6 .....Die Rolle der Tropopause
2.5 ........Wellencharakteristika
2.5.1 .....Die Wellenlänge
2.5.2 .....Die Wellenamplitude
2.6 ........Rotoren
2.7 ........Leewellen und Konvektionsbewölkung
2.8 ........Leewellenbewölkung
2.9 ........Topographische Charakteristika
2.9.1 ......Der Effekt der Symmetrie
2.9.2 ......Die Länge des Bergkamms
2.9.3 ......Isolierte Berge
2.10 .......Extremwellen und ihre Gefahren
2.10.1 ....Brechende Wellen
2.10.2 ....Extreme Wellen- und Rotorsituationen
3. ...........Vorhersage von Leewellen
3.1 .........Kriterien für die Vorhersage von Leewellen
3.1.1 ......Topografische Kriterien
3.1.2 ......Meteorologische Kriterien
3.2 .........Checkliste für die Vorhersage von Leewellen
3.3 .........Abschätzung der Wellenintensität mit dem 
              Lester-Harrison-Nomogramm

3.4 .........Abschätzung der Möglichkeit für die Bildung Leewellen 
               aus der Vertikalverteilung des Scorer-Parameters

4. ...........Gefährliche Wettererscheinungen im Bereich von Leewellen
5. ...........Bildung und von Vorhersage von Thermikwellen 
5.1 .........Struktur und Eigenschaften von Thermikwellen
5.1.1 .......Cumuluswellen
5.1.2 .......Wolkenstraßenwellen
6. ............Inversionswellen


Dokumentübergreifende Links:
Carsten Lindemann, zum Lester-Harrison-Nomogramm / Vorhersage von Leewellen am Harz

Downloads:

1. Einleitung

In ausgedehnten horizontalen Luftströmungen mit höherer Windgeschwindigkeit treten häufig wellenförmige Schwingungen auf, deren vertikale Geschwindigkeitskomponenten größer sind als die Sinkgeschwindigkeit eines Segelflugzeuges. Deshalb können Segelflieger im Bereich der aufsteigenden Luft an der Aufwindseite einer solchen Welle an Höhe gewinnen. In den quasi-laminaren Wellenströmungen werden im allgemeinen sehr ruhige, turbulenzarme Aufwinde angetroffen.

Wellenströmungen entstehen durch eine Störung der äusgedehnten horizontalen Strömungen. Zunächst befindet sich die Luft im hydrostatischen Gleichgewicht (Gleichgewicht zwischen der vertikal nach oben wirkenden Druckgradientkraft und der nach unten wirkenden Schwerkraft). Wenn nun in einer stabil geschichteten Luftströmung ein Luftvolumen durch eine Störung aus dieser Gleichgewichtslage nach oben vertikal ausgelenkt wird, entsteht eine Rückstellkraft, die das Luftvolumen in Richtung seiner Ausgangslage/-höhe zurück beschleunigt. Auf Grund seiner Trägheit schießt aber dieses Luftvolumen über die Gleichgewichtslage hinaus und der Vorgang wiederholt sich periodisch. Aus diesem Schwingungsvorgang heraus entsteht in der Strömung schließlich ein Wellensystem. Ursachen für die Störungen, die zu einer Wellenströmung führen, können zum Beispiel die auslenkenden Kräfte einer Scherströmung oder Strömungshindernisse sein. Im ersten Fall entstehen Scherungswellen, im zweiten Fall thermische Wellen (wenn das Hindernis ein thermischer Aufwind ist) oder Leewellen (wenn das Strömungshindernis ein Berg oder ein Gebirge ist). Letztere sind für den Segelflug von wesentlicher Bedeutung. Sie werden nachfolgend eingehend betrachtet.

2. Bildung und Eigenschaften von Leewellen
2.1 Allgemeines

Trifft die ausgedehnte Horizontalströmung der Atmosphäre auf ein genügend breites Hindernis, so ist sie gezwungen, dieses zu überströmen. Ist die überströmende Luftmasse dabei so geschichtet, dass sie ein schwingungsfähiges Medium darstellt, bildet sich über dem Hindernis und in seinem Lee eine bis in große Höhen reichende stationäre wellenförmige Strömung, in der die vertikale Geschwindigkeitskomponente größer ist als die Sinkgeschwindigkeit eines Segelflugzeuges. Die stärksten Wellen werden im Lee von Gebirgen gefunden (Abb.1). Sie sind unter dem Namen "Gebirgswellen" oder "Leewellen" (englisch: "Mountain Waves") bekannt.


Abb.1: Vertikalschnitt durch eine ausgeprägte Leewelle

Die Leewellen wurden erstmalig im Jahre 1933 durch deutsche Segelflieger im Riesengebirge entdeckt. Bereits 1937 wurden mit Segelflugzeugen Höhen über 7000 m erreicht. Die größte jemals mit einem Segelflugzeug erreichte Höhe (1989 in den Leewellen der Sierra Nevada/ USA) beträgt 14938 m. Auch der bisher weiteste Streckensegelflug von über 2500 km wurden im Jahre 2001 in den Leewellen der argentinischen Anden erflogen.

Wolkenbeobachtungen und Berichte von Jetpiloten zeigen, dass Wellenströmungen offensichtlich bis zu einer Höhe von 30 km reichen können. Meteorologisch ist es denkbar, dass Segelflugzeuge auch wandernde Wellen nutzen können, die im Bereich von Jetstreams auftreten können.

Abb. 1 zeigt die typische Form der Stromlinien einer gut entwickelten Welle im Lee einer Bergkette. Zu erkennen sind alle signifikant sichtbaren Wetterbedingungen wie Staubewölkung und Föhnmauer im Luv, sowie Lenticulariswolken, Rotorwolken, Turbulenzzonen und die föhnige Aufheiterungszone im Lee. Die Staubewölkung bildet sich durch die erzwungene Hebung an der Luvseite der Bergkette und wird durch die Abwärtsbewegung an der Leeseite wieder aufgelöst, dabei manchmal wie ein "Wolkenwasserfall" oder eine hohe Wolkenmauer ("Föhnmauer"') aussehend. Das starke leeseitige Absinken erzeugt oft Wolkenlücken (in den Alpen als "Föhnlücken" bekannt), die manchmal auch in einer an sich sehr feuchten Luftmasse Sichtflüge erlauben.

Dem Physiker Lyra gelang es 1943 erstmals, diese Erscheinung auch theoretisch aus den atmosphärischen Strömungsgleichungen exakt herzuleiten. Seitdem gibt es viel Literatur, die dieses Phänomen einschließlich aller meteorologischen und orographischen Zusammenhänge umfassend beschreibt. In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Vielzahl von Veröffentlichungen über Leewellen erschienen. Eine Zusammenfassung von Beobachtungen und theoretischen Studien enthält die WMO Technical Note Nr. 127 "The Airflow over Mountains, Research 1958-72" (1973) und der Aufsatz von Ronald B. Smith: "The Influence of Mountains on the Atmosphere" (1979). Diese Veröffentlichungen erhalten auch umfangreiche Literaturübersichten zu diesem Thema.

Die Leewellen werden von jedem einzelnen Gebirgskamm (z.B. Riesengebirge, Schwarzwald, Thüringer Wald, Harz usw.) erzeugt und haben Wellenlängen von 3 - 20 km. Bei Hochgebirgen, die sich überwiegend aus einer Vielzahl von hintereinanderliegenden Gebirgszügen zusammensetzen (Alpen, Karpaten, Pyrenäen), wird bei entsprechend hohen Windgeschwindigkeiten zusätzlich auch vom Gebirgsmassiv als Ganzes eine Welle erzeugt, die unter dem Namen "Hohe Woge" bekannt ist und Wellenlängen von 20 - 40 km besitzt (siehe auch Ziffer 2.3).

2.2 Merkmale von Leewellen

Voraussetzung für die Bildung von Leewellen ist das Vorhandensein eines quer zur Strömung stehenden Hindernisses (Berg oder Bergkette) und eine horizontale Luftströmung, welche die kinetische Energie für Wellenbewegungen beim Überströmen liefert. Da es sich bei Leewellen um Schwerewellen handelt, ist eine stabile Schichtung eine weitere notwendige Bedingung. Besonders günstig ist dabei eine stabile Schicht/Inversion in oder oberhalb der Kammhöhe des Gebirges. Die Windrichtung ist dann besonders günstig, wenn das Strömungshindernis senkrecht oder zumindest innerhalb eines +/- 30° Sektors dazu angeströmt wird. Auch die Windgeschwindigkeit muss einen gewissen Mindestgrenzwert überschreiten, der von der Stabilität der Atmosphäre sowie der Hindernisform und -höhe abhängt. Die Erfahrung zeigt, dass für Hügel und Berge bis zu ca. 1.000 m Höhe bereits eine kammsenkrechte Windkomponente von 8 - 10 m/s (15 - 18 kt) und für die Alpen ein unterer Grenzwert von etwa 10 - 15 m/s (18 - 27 kt) ausreicht, um Wellenerscheinungen zu induzieren.

Leewellen können prinzipiell zu jeder Jahreszeit auftreten, aber im Winterhalbjahr ist durch die höheren Windgeschwindigkeiten und ein günstigeres Stabilitätsverhalten die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens am größten (Abb. 2).


Abb. 2: Jahresgang des Auftretens von Leewellen in Mitteleuropa

2.3 Wellentypen

Es gibt zwei Grundtypen von Leewellen. Während beim ersten Typ die Energieausbreitung überwiegend vertikal nach oben erfolgt, erfolgt sie beim zweiten überwiegend horizontal in Strömungsrichtung. Welcher von beiden Typen vorherrscht, hängt vom vertikalen Wind- und Temperaturprofil sowie von der Form und der Höhe einer Bergkette ab.

Der erste Typ, die sogenannte "Ausbreitungswelle" (engl.: "vertically propagating wave") kann auf Grund ihrer großen Amplitude bis in die Stratosphäre hineinreichen. Sie ist wegen der überwiegend vertikal nach oben gerichteten Energieausbreitung und fehlender Reflexionsschichten stromab stark gedämpft und hat deshalb in Strömungsrichtung nur wenige oder gar keine sekundären Wellen. Die Linien gleicher Wellenphase sind gegen die Strömung geneigt. Die Wellenlängen liegen im allgemeinen zwischen 15 und 30 km, in extremen Situationen können sie aber auch deutlich größer sein. Ausbreitungswellen sind gekennzeichnet durch eine einzelne sehr hohe dachartige Wolke, deren Vorderkante parallel zur Bergkette angeordnet ist. Dieser Typ stellt die beste Welle für große Höhenflüge dar.

Der zweite Typ, die sogenannte "Resonanzwelle" (engl.: "trapped wave"), ist gekennzeichnet durch viele hintereinander liegende Wellenschwingungen (bis zu 20 oder mehr), deren Wellenwolken in Satellitenbildern manchmal sehr spektakulär aussehen. Die Linien gleicher Wellenphase stehen nahezu senkrecht. Die Wellenlängen betragen im allgemeinen 5 - 15 km. Resonanzwellen reichen meist nicht so hoch wie die Ausbreitungswellen (3 - 8 km), da sie zwischen dem Erdboden und einem Bereich mit einem Maximum der Windgeschwindigkeit, die beide die Wellenenergie reflektieren, quasi "gefangen" sind (daher auch die engl. Bezeichnung "trapped waves"). Nutzbar sind sie für Low-Level-Wellenflüge (z.B. Rückenwind- und geschlossene Streckenflüge).

Meistens treten Leewellen als Mischformen beider Wellentypen auf.

2.4 Voraussetzungen für die Leewellenbildung

Die Entwicklung von Leewellen hängt von den Merkmalen der Luftströmung (vertikales Temperatur- und Windprofil) und den topografischen Gegebenheiten ab, wobei letztere die Wellenbildung selbst nur auslösend unterstützen.

2.4.1 Temperaturprofil

Eine Wellenströmung ist eine weitgehendst laminare Strömung, die durch die hochreichende thermische oder andere turbulente Strömungen zerstört wird. Damit eine Luftmasse schwingungsfähig ist, muss deshalb eine stationäre stabile Schichtung in Gipfelhöhe des überströmten Berges (Bergkette) oder knapp darüber vorhanden sein, die zwei Schichten geringerer Stabilität darüber und darunter trennt (Abb. 3). Die unterhalb dieser stabilen Schicht (Inversion) liegende Luftmasse wird auch als Totluftmasse bezeichnet, da sie im allgemeinen keinerlei vertikalem Austausch mit der darüberliegenden Luftmasse unterliegt.


Abb. 3: Stabilitätsverteilung einer schwingungsfähigen Luftmasse

2.4.2 Windprofil (Abb. 4)

Die gebirgssenkrechte Windgeschwindigkeitskomponente muss in Gipfelhöhe bei niedrigen Bergen mindestens 8 m/s (15 kt) und bei hohen Bergen (bis 4000 m) mindestens 12 m/s (22 kt) betragen. Ist sie geringer, so folgen die Stromlinien lediglich in Bodennähe dem Bergprofil (a) oder es bildet sich ein stehender Wirbel (b). Die Windgeschwindigkeit sollte nach oben hin stetig auf Werte von 20 - 30 m/s zunehmen. Die Windrichtung darf maximal 30° von der Bergnormalen abweichen und sich nach oben hin nur geringfügig ändern (weniger als 20°/1000 m). Nimmt der kräftige Wind jedoch oberhalb des Bergkamms wieder ab, oder dreht er stärker aus der Richtung heraus, so bilden sich lediglich gegeneinander rotierende Wirbel (d, e) aber keine Wellen.


Abb. 4: Windprofile und ihre Auswirkung

2.4.3 Zusammenwirken von vertikaler Temperatur- und Windverteilung

Sind alle Voraussetzungen gegeben, so bildet sich eine Wellenströmung, die aus einer ersten kräftigen Welle mit mehreren auslaufenden Nachschwingungen besteht (Abb. 1). Zur Ausbildung starker Leewellen ist eine geeignete Kombination von vertikalem Temperatur- und Windprofil in der Luftströmung am günstigsten. Die Beziehung zwischen beiden wird durch den nachfolgend erläuterten "Scorerparameter'' beschrieben. Dieser Parameter ist damit eine gute Abschätzung dafür, ob die meteorologischen Voraussetzungen (Schwingungsfähigkeit) für die Entstehung solch einer Wellenströmung gegeben sind.

oder etwas vereinfacht:

Hierbei sind:

Dieser Parameter ist der meteorologische Teil der Leewellengleichung. Bei einer schwingungsfähigen Luftmasse nimmt er nach oben hin ab. Diese Abnahme erfolgt dann, wenn
a. die Stabilität mit der Höhe abnimmt,
b. die Lufttemperatur relativ hoch bleibt und/oder
c. die Windgeschwindigkeit zunimmt.

2.4.4 Topographische Faktoren
2.4.4.1  Die Berghöhe

Mit bestimmten Einschränkungen gilt, dass die Amplitude um so größer ist, je höher der Bergkamm aufragt.

2.4.4.2 Die Bergform

Je mehr ein Hindernis der Idealform der in der Luftmasse möglichen Wellen entspricht, desto stärker regt es zur Wellenbildung an. Wenn also die Form eines Berges grob mit der natürlichen Form der Leewelle übereinstimmt, ist die Amplitude größer. Dieser Fakt überwiegt den Effekt der Berghöhe, so dass ein Berg, dessen Profil in die Wellenlänge passt, eine Welle mit größerer Amplitude erzeugt als ein Berg, der zu groß für die Wellenlänge ist (Abb.5).

Besonders wichtig ist die Form des Leeabhangs. Steile Leehänge erzeugen große Amplituden und begünstigen die Bildung kräftiger Rotoren.


Abb. 5: Einfluss von Hindernisprofilen auf die Wellenbildung (nach Wallington)

2.4.4.3 Der Abstand zwischen den Bergkämmen

Wenn zwei hintereinanderliegende Bergkämme in Phase mit der natürlichen Wellenlänge sind, entstehen Resonanzschwingungen, und die Amplitude der Welle über dem 2. Bergkamm und in seinem Lee ist wesentlich größer (Abb.5). Dabei kann die Stärke der zweiten Welle die der ersten oft übertreffen.

2.4.5 Luftstromfaktoren

  1. Wenn die stabile Schicht eine dünne Schicht großer Stabilität ist, erzeugt sie eine größere Wellenamplitude als eine dicke Schicht mäßiger Stabilität.
  2. Andere Faktoren (Resonanz, Wind- und Temperaturprofil), die eine Leewellenverstärkung bewirken, spielen besonders bei der Entstehung von Wellen an geringen Erhebungen eine Rolle.

2.4.6 Die Rolle der Tropopause

Scharf ausgeprägte Inversionen können als Reflexionsschicht wirken, die Wellen unter sich einschließen und so eine weitere vertikale Wellenausbreitung unterbinden. Da die Tropopause meist mit solch einer ausgeprägten Inversion verbunden ist, sollte sie für hochreichende Segelflüge bis in die Stratosphäre hinein deshalb hoch liegen und einen kontinuierlichen Übergang zur Stratosphäre bilden. Dies reduziert auch die Wahrscheinlichkeit einer starken negativen Windscherung mit brechenden Wellen und starker Turbulenz in und oberhalb der Tropopause.

2.5 Wellencharakteristika
2.5.1 Die Wellenlänge

Die Länge der Leewellen ist nur abhängig vom Grad der Stabilität der Luftmasse und von der Windgeschwindigkeit. Sie lässt sich exakt nach der Formel

berechnen. Für grobe Abschätzungen kann man hinreichend genau auch die Gleichung

verwenden.

Hierbei sind:

Wie in obigen Gleichungen zu sehen ist, hat die Geländegestaltung dagegen nahezu keinen Einfluss auf die Wellenlänge der Strömung. Das Gelände fungiert lediglich als Auslöser der je nach ihren Eigenschaften schwingenden Luftmasse und kann diese stärker oder schwächer in Schwingung versetzen.

2.5.2 Die Wellenamplitude

Sie ist definiert als die Hälfte der Distanz zwischen Tal und Gipfel der Welle. Sie ist abhängig von Form und Umfang des Bergkammes (topographischer Effekt) und vom vertikalen Wind- und Temperaturprofil der Luft (meteorologischer Effekt). Die größte Amplitude wird im allgemeinen in der stabilen Schicht oberhalb des Berggipfels angetroffen. Mit der notwendigen vertikalen Stabilitätsabnahme wird auch die Amplitude geringer. Je größer die Amplitude ist, desto stärker ist auch das Steigen im Aufwindbereich der Welle.

2.6 Rotoren

Unterhalb der quasi-laminaren Wellenströmung sind fast immer walzenförmig rotierende turbulente Luftströmungen, sogenannte "Rotoren" vorhanden. Rotoren sind stehende Wirbel, die sich hauptsächlich in der unteren Luftschicht (Totluftmasse) unterhalb der Berggipfel formieren, jedoch auch weit über den Gipfelbereich hinausreichen können und oft mit ungewöhnlich starken Auf- und Abwinden verbunden sind.

Das Rotorphänomen und dabei besonders die Frage, ob der Rotor Teil des Wellensystems ist oder eine mehr unabhängige Erscheinung darstellt, ist gegenwärtig noch in der Diskussion. Die vorherrschende Meinung sieht ihn als einen hydraulischen Sprung an. Wenn die Kaltluft den Leeabhang wie in einem sichtbaren "Wolkenwasserfall" hinabstürzt, nimmt sie Geschwindigkeit auf, schießt den Abhang und einen Teil des Talgrundes mit überkritischer Geschwindigkeit entlang und kehrt weiter stromabwärts in einem Dichte- oder Drucksprung zu einer unterkritischen Geschwindigkeit zurück (analog zur Überströmung eines Wasserwehrs). Dabei wird viel von der kinetischen Energie, die beim Herabstürzen gewonnen wurde, in schwere Turbulenz umgewandelt. Es ist dabei noch ungeklärt, welche Faktoren die genaue Position des Rotors bestimmen. Beobachtungen deuten jedoch darauf hin, dass die auftretende Turbulenz um so schwerer ist, je weiter entfernt die Rotorposition vom Abhang ist. Am wahrscheinlichsten es, dass seine Position durch das Verhältnis von Höhe der luvseitigen Inversion im Verhältnis zur Kammhöhe bestimmt wird. Die kräftigsten Rotoren entstehen im allgemeinen unterhalb der ersten Welle direkt am Leeabhang des Berges (Abb.1). Sie sind häufig durch Rotorwolken gekennzeichnet, die aus einer meist stationären Rolle zerrissener kumulusförmiger Wolken bestehen. Diese Rotorwolken sind ein Anzeichen für heftige Turbulenz, verbunden mit einem Rücklaufen der Strömung. Diese Turbulenz kann besonders unter der ersten Welle sehr gefährlich sein, wenn z.B. ein Schleppzug unterhalb der Rotorbewölkung durchquert, um gegen die Strömungsrichtung den Aufwind der Primärwelle zu erreichen. Schwere Rotoren, die zur Zerstörung von Flugzeugen führen können, werden meist nur im Lee hoher Berge angetroffen. Sie sind überwiegend mit sehr starken Aufwinden und großen Wellenamplituden verbunden.

Auch oberhalb der stabilen Schicht können in den Wellentälern bei sehr großen Amplituden Rotoren entstehen, die jedoch im Gegensatz zu den bodennahen Rotoren linksdrehend sind (Abb.1) und keine Rotorwolken erzeugen.

2.7 Leewellen und Konvektionsbewölkung

Konvektive Aktivitäten der unteren Atmosphärenschichten führen meist zur Dämpfung oder Auflösung der Struktur der laminaren Wellenströmung. Das ist besonders dann der Fall, wenn die thermischen Aktivitäten die stabile Schicht durchstoßen und sich in Höhen oberhalb des Gipfelniveaus ausdehnen. Wenn sich die Thermik auf die Totluftmasse unterhalb dieser Schicht beschränkt, so kann beides nebeneinander bestehen, und man kann von der Thermik in die Leewelle "einsteigen". Umgekehrt beeinflussen Leewellen auch die thermische Entwicklung in der unteren Schicht. So werden Thermik und Cumuluswolken unter Wellentälern abgeschwächt und unter Wellenbergen verstärkt. Man kann Quellwolken beobachten, die ihren Umfang ausdehnen und wieder zerfallen, wenn sie sich durch Wellenstrukturen hindurch bewegen.

2.8 Leewellenbewölkung

Die Entstehung der Wolken richtet sich nach Luftfeuchtigkeit und Wellenamplitude und hat keinen direkten Einfluss auf die Wellenstruktur. Vor dem Luvabhang eines Berges bildet sich durch Stau eine meist geschlossene Bewölkung, die sogenannte Föhnmauer. Sie wird am Leeabhang durch die adiabatische Erwärmung der abwärts schießenden Luftströmung aufgelöst, und es entsteht die für Wellensituationen typische Föhnlücke. Im Bereich der Wellenberge bilden sich je nach der Feuchtigkeit in den verschiedenen Schichten Lenticulariswolken mit konkaver, ebener oder konvexer Basis. Sie sind daran zu erkennen, dass sie trotz des starken Windes mehr oder weniger ortsfest linsenförmig und glatt über dem Gelände stehen, indem sie sich von der Luvkante her ständig aufbauen und in der Abwärtsströmung der Leeseite aufgelöst werden. Sie entstehen im Wellenberg und wachsen von dort aus symmetrisch zum Luv und Lee hin. Sie können dabei von den einzelnen Schichten aus zusammenwachsen Bei hoher Feuchte in allen Luftschichten bilden sie hinter der Föhnlücke eine geschlossene hochreichende Wolkenbank, die an ihrer Luvkante durch vorstehende Profilnasen ihren Wellencharakter anzeigt. Bei sehr geringer Feuchte führt selbst kräftige Hebung* nicht zur Kondensation, und es bildet sich ein wolkenloses Wellensystem, das vom Boden aus nur an den Windsprüngen unterhalb der Rotoren, die aus einzelnen zerrissenen Cumulusfetzen bestehen. Bei hoher Luftfeuchtigkeit bilden sich kompakte walzenförmige Rotorwolken, die wie große Zirkulationsräder unterhalb der Wellenberge rotieren.

2.9 Topographische Charakteristika

Die reale Topographie eines Gebirges ist meist viel komplexer als das in den Berechnungen angenommen werden kann. Die erzeugte Wellenströmung stimmt trotzdem relativ gut mit der berechneten überein, da die meisten kurzwelligen Irregularitäten eines schmalen Berggebietes (Längs- und Quertäler, Sättel und Gipfel) durch die Bildung von halbbeständigen Wirbeln geglättet werden, über die die glatten langwelligen Wellenstrukturen hinwegströmen. Auch eine kräftige Inversion in Berggipfelhöhe kann die effektive Form des Geländes stark glätten. Die Inversionsgrenze, die eine wesentlich günstigere Form hat als das darunterliegende Gelände erzeugt dann die Welle.

2.9.1 Der Effekt der Symmetrie

Symmetrische Bergkämme sind am effektivsten bei der Erzeugung von Leewellen, wenn die natürliche Welle in Form und Umfang mit dem Bergrelief übereinstimmt (Abb.5). Das Band dieser effektiven Wellenlängen ist jedoch sehr schmal. Ist keine Symmetrie vorhanden, so ist die Beziehung zwischen Wellenlänge und Geländeforrn unbedeutend. In diesem Fall spielt die Form des Leeabhangs eine große Rolle.

2.9.2 Die Länge des Bergkamms

Ein langer Bergkamm ist bei der Bildung von Leewellen effektiver als ein kurzer. Bei einem kurzen Bergkamm strömt ein Teil der Luft, statt über den Gipfel, um seine Enden herum. Wenn der Grundriss eines Bergkamms gebogen ist, werden durch die luvseitig konkav geformten Gebiete effektiver Wellen induziert als durch die konvex geformten.

2.9.3 Isolierte Berge

Das Leewellensystern eines einzelnen Berges hat eine keilförmige Gestalt, ähnlich dem Kielwasser eines Schiffes. Der Winkel des Keiles schwankt zwischen 120 bei einer nur schwach stabilen Schicht und 400 bei einer sehr dünnen Schicht großer Stabilität. Die Wellenamplitude ist in der Keilachse am größten und verringert sich zum Rand hin auf Null.

2.10 Extremwellen und ihre Gefahren
2.10.1 Brechende Wellen

Beim Auftreten starker vertikaler Windscherungen können die Wellenabhänge so steil werden, dass die Wellen brechen (ähnlich den Wellen einer Meeresbrandung). Dieses Brechen von Wellen führt zu der schwersten Leewellen-Turbulenz, weil in der stabil geschichteten Atmosphäre brechende Wellen kalte Luft auf die darunter liegende warme Luft transportieren. Wellenbrechung kann auftreten in der Rotorzone der unteren Schichten oder in der unteren Stratosphäre nahe der Tropopause (z. B. in einem Gebiet mit negativer Windscherung oberhalb einer Strahlstromachse).

2.10.2 Extreme Wellen- und Rotorsituationen

Eine hohe Bergkette kann unter speziellen atmosphärischen Bedingungen eine wasserfallartige Strömung der Atmosphäre hervorrufen, wobei die Troposphäre im Lee der Bergkette auf die Hälfte ihrer vertikalen Mächtigkeit zusammengedrückt werden kann und die vertikalen Amplituden der Stromlinien mehr als 6 km erreichen können. Extreme Strömung dieser Art sind mit Abwinden verbunden, die in Bodennähe mehr als 50 m/s am Boden erreichen können (Abb, 6). Im Bereich dieser Rotoren werden schwere Turbulenzen angetroffen. Solche Wellenströmungen stellen für durchfliegende Segelflugzeuge eine erhebliche Gefahr dar.

Extreme Wellen- und Rotorsituationen sind in Mitteleuropa allerdings äußerst selten. Sie können am Alpenrand in Verbindung mit Südföhn auftreten. Am 8. November 1982 trat ein solches Ereignis auf, das am nördlichen Alpenrand der Schweiz, Österreichs und Deutschlands schwere Sturmschäden verursachte.


Abb.6: Entstehung kräftiger Rotoren mit schwerer Turbulenz

3. Vorhersage von Leewellen

Die beste Möglichkeit zur Vorhersage von Leewellen stellen "Direct-Model-Outputs" hochaufgelöster Vorhersagemodelle dar. Abb. 7 zeigt eine solche in pc_met angebotene Wellenvorhersage für einen Schnitt durch die Westalpen zwischen Pte. de Valoney und Vevey (Region Mont Blanc). Hier ist sehr gut die Lage der Auf- und Abwinde sowie die Wind- und Temperaturverteilung zu erkennen. Die Intensität der Vertikalbewegung ist wegen der noch zu geringen Auflösung des Modells (7 km) nach statistischen Vergleichen etwa um den Faktor 4 zu gering.

Da gegenwärtig nur für wenige Gebiete Wellenvorhersagen aus hochaufgelösten Vorhersagemodelle für Leewellen zur Verfügung stehen, ist es notwendig, aus synoptisch vorhergesagten Luftmassen- und Strömungsparametern auf das Auftreten von Leewellen zu schließen. Dabei sind die nachfolgenden topographischen und meteorologischen Kriterien eine wesentliche Hilfe.


Abb. 7: Leewellenvorhersage für den Alpenschnitt
Pte. De Valoney - Vevey

3.1 Kriterien für die Vorhersage von Leewellen
3.1.1 Topografische Kriterien

3.1.2 Meteorologische Kriterien

Die o.g. Bedingungen werden meistens im Warmsektor oder auf der antizyklonalen Seite eines Jetstreams angetroffen. Auf der zyklonalen Seite des Jets kommt es in der typisch feuchtlabilen Kaltluftströmung zu Schauerbildungen, die häufig ein leeseitiges Schwingen der Atmosphäre infolge hochreichender konvektiver Durchmischung verhindern oder zumindest stark beeinträchtigen. Eine Ausnahme bilden mistral-ähnliche Strömungen, bei denen die luvseitig feuchtlabile Luftmasse durch vorgelagerte Gebirge abgetrocknet und stabilisiert wird.

Günstige Wellengebiete in der Bodenwetterkarte

Günstige Gebiete im 500 und 300 hPa-Niveau

3.2 Checkliste für die Vorhersage von Leewellen

Ausgehend von den o.g. Kriterien für die Bildung und.Vorhersage von Leewellen wurde die nachfolgende Checkliste zur groben Abschätzung von Wellenintensitäten erstellt.

Checkliste für die Vorhersage von Leewellen

  1. Diagnose der synoptischen Situation bzgl. Strömung inkl. Jetposition, Druckgebilde, Fronten und Luftmassen.
  2. Generelle Windrichtung mit der Anströmungsrichtung der Hauptgebirgszüge im Vorhersagegebiet vergleichen
    gute Möglichkeit bei ± 30° zur Gebirgsnormalen
    Wellenmöglichkeiten bei folgenden Gebirgen:
    1. ............................................................
    2. ............................................................
    3. ............................................................
    4. ............................................................
    5. ............................................................
  3. Untersuchung des jeweils luvseitigen Windprofils
    Gebirgsnormale Windkomponente in Kammhöhe:
    - Mittelgebirge ~ 8 - 10 m/s
    - Hochgebirge ~10 - 15 m/s

    Windprofil
    - Geringe Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe begünstigt hohe Wellen
    - starke Zunahme mit darüber liegender starker Abnahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe begünstigt höhenbegrenzte Resonanzwellen mit Turbulenzgefahr an der Wellenobergrenze
  4. Sind folgende Stabilitätskriterien erfüllt?
    -
    stabil im Kammbereich (feuchtstabil bei Staubewölkung)
    -
    keine Schauer/Cb vorhergesagt
    - trockenstabil bei antizyklonaler Strömung und nichtgesättigter
    Luftmasse
    - feuchtstabil bei zyklonaler Strömung
  5. Vorhersage der Wellenintensität
    -
    Anwendung des Lester-Harrison-Nomogramms
    - ggf. andere Methoden
  6. Grobe Bestimmung der Wellenlänge aus der Windgeschwindigkeit mit
    Lambda = 0,6 x V - 3 (siehe Abschnitt 2.5.1) sowie Prüfung der Übereinstimmung von Wellenlänge und Orographie.

3.3 Abschätzung der Wellenintensität mit dem Lester-Harrison-Nomogramm

Auf der Basis einer Arbeit von Harrison hat Lester (1975) ein empirisches Verfahren für eine grobe quantitative Abschätzung der Wellenintensität entwickelt. Dieses Analyseverfahren geht davon aus, dass die Wellenströmung über einer Bergkette im Zusammenhang steht mit der Differenz zwischen den ruhenden Luftmassen der Luv­ und Leeseite einer Bergkette. Diese kann man als hydrostatische Druckdifferenz betrachten. Wenn man unter dieser Bedingung annimmt, dass die betrachtete Bergkette die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Merkmale aufweist, kommt das Nomogramm mit zwei Ausgangsparametern aus:

a) Die maximale Windgeschwindigkeit (Normalkomponente zur Bergkette) in einer 3 km dicken Schicht über dem Bergkamm

b) Die..Differenz des auf NN bezogenen normierten Bodendrucks in Richtung der Gebirgsnormalen zwischen der Luv- und der Leeseite der Bergkette

Das Nomogramm wurde auf der Basis zahlreicher Wellenbeobachtungen ursprünglich für hohe Gebirge mit einer Gipfelhöhe von ca. 3 km entwickelt. Bei Untersuchungen an niedrigeren Gebirgsketten (Karpaten, Riesengebirge, Thüringer Wald) hat sich jedoch gezeigt, dass es auch mit Erfolg zur Abschätzung der Wellenintensität an niedrigeren Bergketten verwendet werden kann. Die untere Grenze scheint dabei eine Kammhöhe von etwa 1000 m zu sein.

Mit dem Nomogramm wird die Wahrscheinlichkeit abgeschätzt, dass sich Wellen entwickeln, wie ihre Intensität (schwach, mäßig oder stark) ist und wie stark die zu erwarteten Aufwinde (in m/s) sind. Die Beurteilung der Wellenintensität bezieht sich dabei als qualitative Aussage sowohl auf die Stärke der Vertikalbewegung als auch auf die vertikale Ausdehnung der ausfliegbaren Wellenströmung. Wie in der nachfolgenden "Gebrauchsanleitung" beschrieben, ist die Druckdifferenz quer zur Gebirgskette entsprechend dem Abstand zwischen den verwendeten Messstationen zu normieren (siehe Schritt 6). Diese Druckdifferenz muss immer annähernd senkrecht zum Gebirgskamm bestimmt werden. Wenn sichergestellt ist, dass das verwendete Vorhersagemodell nicht alle Tröge glättet, können als Eingangsparameter auch numerische Bodendruckvorhersagen verwendet werden. In Verbindung numerischen Tempvorhersagen kann dann mit dem Nomogramm eine einfache Wellenvorhersage vorgenommen werden. Abb. 8 zeigt das Lester-Harrison-Nomogramm.


Abb. 8: Lester-Harrison-Nomogramm

Darin ist [delta]p (hPa) die genormte Druckdifferenz in der Gebirgsnormalen in Meeresspiegelhöhe und [delta]p (kt) das Maximum der Normalkomponente der Windgeschwindigkeit in der 3-km-Schicht über dem Gebirge. Im schattierten Gebiet ist die WahrscheinIichkeit für das Auftreten nutzbarer Wellen kleiner als 50%. Die gestrichelten Linien sind Schätzwerte der Vertikalgeschwindigkeit. Die dick ausgezogenen Linien teilen das Nomogramm in Gebiete unterschiedlicher Wellenintensitäten, die mit Hilfe von Beobachtungen von Wellenlänge, Wellenamplitude und Vertikalgeschwindigkeiten gewonnen wurden.

Gebrauchsanweisung für das Lester-Harrison-Nomogramm:

Schritt 1:
Bestimmung von Windrichtung und -geschwindigkeit für die 3-km­Schicht über dem Gipfelniveau des Gebirgskamms aus einer repräsentativen Vertikalsondierung.

Schritt 2:
Berechnung der mittleren Windgeschwindigkeitskomponente
senkrecht zur Gebirgskette in dieser Schicht (VP)

Schritt 3:
Ermittlung der Druckdifferenz (bezogen auf NN) zwischen einer
Luvstation (pLUV) und einer Leestation (pLee). Daraus ergibt sich: [delta]po = pLuv - pLee

Schritt 4:
Bestimmung der Entfernung [delta]x (in km) senkrecht zur Gebirgskette
zwischen den beiden Stationen.

Schritt 5:
Berechnung von [delta]p durch Multiplikation von [delta]po mit dem Faktor
320/[delta]x

Schritt 6: Gehe mit Vp (aus Schritt 2) und [delta]p (aus Schritt 5) in das Nomogramm ein und lese folgende Parameter ab:
- die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Leewellen (> oder < 50%)
- die Wellenintensität (leicht, mäßig oder stark)
- den Schätzwert der Vertikalgeschwindigkeit
(< 2,5 m/s; 2,5 - 4 m/s; > 4 m/s)

Anmerkung:
Zur Anwendung für bestimmte Gebirge und die dafür fest zur Verfügung stehenden Bodendruckwerte ausgewählter Luv- und Leestationen lässt sich das Lester-Harrison-Nomogramm weiter vereinfachen. Schritt 5 und 6 kann dann entfallen, wenn die Ordinate entsprechend umskaliert wird.

[Vgl. hierzu auch: Carsten Lindemann, zum Lester-Harrison-Nomogramm / Vorhersage von Leewellen am Harz]

3.4 Abschätzung der Möglichkeit für die Bildung Leewellen aus der Vertikalverteilung des Scorer-Parameters

Für die Ausbildung von nutzbaren Leewellen ist eine ausgedehnte starke Strömung einer schwingungsfähigen Luftmasse erforderlich, die auf ein quer zur Strömungsrichtung stehendes Gebirgshindernis (Berg, Bergkette) trifft. Während das Hindernis im wesentlichen nur Auslöser der Wellenerscheinung ist, werden ihre Parameter (Wellenlänge, Art und Höhe der Wellenerscheinung) wesentlich von den vertikalen Verteilungen von Wind und Temperatur bestimmt. Eine Beziehung zwischen beiden stellt der Scorer-Parameter (Abschnitt 2.4.3) dar. Aus seinem Vertikalprofil kann eine grobe Abschätzung für die Schwingungsfähigkeit der Luftmasse vorgenommen werden. Abb. 3 und 4 im Abschnitt 2.4.3 stellen die Profile von Temperatur und Windgeschwindigkeit für eine reale schwingungsfähige Luftmasse dar. Diese Idealprofile lassen sich über den Scorer-Parameter zu einem Profil zusammenfassen (Abb. 9b).

Die Schwingungsfähigkeit einer Luftmasse ist dann gegeben, wenn die Werte des Scorer-Parameters in Höhe der stabilen Schicht ein Maximum aufweisen. In der "Totluftmasse" unterhalb diese Maximums muss eine Zunahme der Werte des Scorer-Parameters vom Boden her erfolgen. Wesentlich für die Schwingungsfähigkeit der Luftmasse ist jedoch der Verlauf der Werte des Scorer-Parameters oberhalb des Maximums. Hier muss mit zunehmender Höhe eine anfangs starke, dann immer langsamere stetige Abnahme (parabelförmig) erfolgen. Wichtig ist die Stetigkeit der Abnahme. Springt dagegen der Wert oberhalb des Maximums hin und her, so ist eine Wellenbildung wenig wahrscheinlich. Abb. 9a und b zeigen die mit dem Temp-Tool im DWD­Selfbriefingsystemp pc-met berechneten Profile von Windstärke und Scorer-Parameter einer schwingungsfähigen Luftmasse.


Abb. 9: Vertikalprofil von Windstärke und Scorerparameter einer Schwingungsfähigen Luftmasse

4. Gefährliche Wettererscheinungen im Bereich von Leewellen

Außer auf die schon in den Abschnitten 2.6 und 2.10 eingegangenen Gefahren durch Turbulenz innerhalb und außerhalb von Rotoren stellen Vereisung und sich plötzlich schließende Wolkenlücken Gefahrenmomente für den Segelflieger dar.

Vereisung bildet sich im allgemeinen beim Durchsteigen der Lenticulariswolken. Sie kann mehrere Zentimeter Stärke erreichen und dadurch die Flugzeugeigenschaften stark negativ verändern. Aber auch Raureifansatz und Kabineninnenvereisung kann bei den niedrigen Temperaturen im wolkenfreien Raum am gesamten Flugzeug auftreten. Sie verschlechtern zwar nicht die aerodynamischen Eigenschaften, beeinträchtigen oder verhindern aber die Sicht aus der Flugzeugkabine.

[An dieser Stelle möchte ich eine m.E. interessante Ergänzung wagen:
Mir wurde vom Ith berichtet, daß im Verlaufe eines wegen der hereinbrechenden Dunkelheit schnell durchgeführten Abstieges aus größerer Höhe in relativ wärmere, bodennahe - aber ebenfalls schon in der tagesgangbedingten Abkühlung befindlichen, also zunehmend feuchteren -  Luftmassen ein vollständiges Beschlages des Flugzeuges (inkl. Haube!) von außen erfolgte! Einiges Hinauszögern der bevorstehenden Landung - in der hereinbrechenden Dunkelheit! - führte schließlich wieder zu klarer Sicht.
Jörg Dummann]

Bei einer plötzlichen Beendigung der Wellenbedingungen durch Winddrehung oder Zerstörung der stabilen Schicht (bei Durchgängen von Kaltfronten oder Trögen) schließen sich die Föhnlücken in der Bewölkung rasch. Diese Situation führt im Lee der Berge oft zu Stau mit aufliegender tiefer Bewölkung, wobei die Wellenstrukturen in größeren Höhen noch längere Zeit bestehen können. Hier ist eine Landung nur in der Ebene in genügend großer Entfernung vom Gebirge möglich.

Aber auch wolkenlose Leewellensysteme stellen selbst für erfahrene Piloten eine unberechenbare Gefahrenquelle dar. Mit den Wolken fehlen hier die Anzeiger für die Lage der Wellen und Rotoren. Dadurch kann völlig unerwartet in Gebiete mit schwerer Turbulenz eingeflogen werden.

5. Bildung und von Vorhersage von Thermikwellen
5.1 Struktur und Eigenschaften von Thermikwellen

Thermikwellen bilden sich über der Thermik oder über Cumuluswolken, wenn in einer Inversion über der konvektiven Grenzschicht eine vertikale Windscherung vorhanden ist. Thermik oder Cumuluswolken können willkürlich verteilt oder in walzenförmigen Wirbeln, d.h. in Aufwind- oder Wolkenstraßen, organisiert sein. Im letzten Fall muss die vertikale Windscherung so ausgerichtet sein, dass die obere Strömung senkrecht oder nahezu senkrecht zu den Wolkenstraßen verläuft. Die beiden Arten der Thermikwellen werden üblicherweise als "Cumuluswellen" und ,Wolkenstraßenwellen" bezeichnet, obwohl eine Bildung von Wolken für das Vorhandensein von Thermikwellen nicht notwendig ist. Thermikwellen, die in der wissenschaftlichen Literatur auch als "Konvektionswellen" bezeichnet werden, werden seit 1885 speziell in den USA systematisch untersucht.

5.1.1 Cumuluswellen

Wächst eine Quellwolke in die Höhe, so behält sie noch längere Zeit die horizontale Bewegung bei, die sie in den unteren Luftschichten angenommen hat. Ist jetzt eine positive Geschwindigkeitsscherung (Windzunahme) mit der Höhe vorhanden, so stellt diese Wolke ein Hindernis für die oberen Luftschichten dar und zwingt diese, die Wolke zu um- und zu überströmen. Ist diese Wolke so groß, dass ein beträchtlicher Teil der Luft über die Wolke strömen muss, so bildet sich eine Luvwelle, die sich bei einer schwingungsfähigen Luftmasse mit mehreren Nachschwingungen fortsetzt. Im Aufwindbereich dieser Nachschwingungen ordnen sich durch die verstärkte Konvektion ebenfalls Quellwolken an, während sie im Abwindbereich aufgelöst werden. Dadurch entstehen wiederum Resonanzeffekte, die zur Bildung eines für den Segelflug nutzbaren Wellensystems führen. Im Gegensatz zu den stationären Wellen wird dieses jedoch mit dem Wind (etwa in Höhe des Kondensationsniveaus) verlagert. Bilden sich die kräftigen Kumuluswolken dabei über festen Quellen, so können in Windrichtung angeordnete, wellenartig verformte Quellenwolkenstraßen entstehen (Abb.9). Damit dieses Phänomen für Segelflieger nutzbar ist, ist eine vertikale Scherung der Windgeschwindigkeit von mehr als 3 m/s (5 kt) pro 1.000 m ohne eine nennenswerte Änderung der Windrichtung nötig. Ist die Cumuluswolke zu klein, tritt der Aufwind nur luvseitig auf und es handelt sich mehr um einen "Hangaufwind" am Cumulus.


Abb. 10: Die Cumuluswelle

5.1.2 Wolkenstraßenwellen

Wenn die Grundschicht durch eine kräftige Inversion in 1500 - 2500 m Höhe nach oben begrenzt ist und in ihr eine ganz spezielle Windverteilung vorhanden ist, bilden sich Quellwolkenstraßen. Die wellenartig angeordnete stabile Grundschichtinversion trennt die unter und über ihr liegenden labilen Luftmassen (Abb. 9). Liegen mehrere dieser so gebildeten Wolkenstraßen nebeneinander, so stellen sie ein System von gleichmäßig hintereinander angeordneten langen Hindernissen dar. Verläuft jetzt die Luftströmung oberhalb der Grundschichtinversion mit genügender Stärke senkrecht zu den Wolkenstraßen, so sind alle Voraussetzungen für die Bildung von Wellenerscheinungen gegeben (Abb. 10).


Abb. 11: Die Wolkenstraßenwelle

Dieses Wellensystem ist jedoch nur dann für den Segelflug nutzbar, wenn die Geschwindigkeit der Oberströmung so groß ist, dass die sich bildenden Schwingungen in Phase mit den Wolkenstraßenabständen sind. Wenn wir diese Bedingung in die Beziehung für den Wolkenstraßenabstand einsetzen, so ergibt sich die notwendige Geschwindigkeit der Oberströmung mit

Hierbei ist:

Da die Grundschichtinversion zur Wolkenstraßenbildung in einer Höhe zwischen 1,5 und 2,5 km liegen muss, ergibt sich eine für die Bildung nutzbarer Wolkenstraßenwellen notwendige Geschwindigkeit der Oberströmung von 45 - 65 km/h.

6. Inversionswellen

Inversionswellen sind Helmholtz-Wellen. Sie entstehen bei kräftiger Windscherung an einer Inversion. Sie sind unabhängig von Hindernissen (Bergen oder Konvektionen) und verhalten sich wie Wellen im Meer (sie wandern). Ihre Richtung liegt quer zur Windscherung, ihre Wellenlänge vergrößert sich bei Ausbreitung.

(Stand: März 2002)