Leewellen am Ostharz im Raum Aschersleben 
und der Bezug zu gleichzeitigen  Wellenereignissen anderenorts -  
eine Zusammenschau.


Karl-Heinz Dannhauer


Segelflüge in Leewellen der deutschen Mittelgebirge sind heute kein Zufallstreffer mehr. Sie werden vor allem in den Herbst- und Wintermonaten bewußt geplant und von einer immer größer werdenden Gruppe Interessierter vorbereitet und durchgeführt.

Sieht man von den spektakulärsten Flügen, wie z.B. dem von Wilfried Reinhardt im Oktober 1968 im Lee des Deister (7800 m Höhe erreicht !) ab,  dann sind es vor allem die geplanten Flüge von Carsten Lindemann,  die den Wellensegelflug besonders am Harz populär gemacht haben.

Wir, das sind eine kleine Gruppe von Segelfliegern, die die vorhandenen Erfahrungen und Möglichkeiten des Wellensegelfluges am Ostharz nutzen und seit nunmehr 3 Jahren, von Aschersleben aus, eine praktische Erkundung des Leewellenphänomens betreiben.

Abb. 1: Altocumulus lenticularis am Flugplatz Aschersleben bei einer SW-Lage

In dem folgenden Bericht, der die Zusammenfassung eines Vortrages (gehalten zum letzten Wellenfliegertreffen in Bad Gandersheim am 03.03.02) darstellt, möchte ich über unsere Erkenntnisse aus verschiedenen Wellenflügen berichten und besonders auf folgende Beobachtungen eingehen:

1.      Meteorologische Besonderheiten bei SW-Lagen (eigene und übernommene Erkenntnisse)

2.      Welleneinstiegsorte und -einstiegshöhen bei SW-Wind

3.      Verlagerung der Wellensysteme bei Variation der Windrichtung 

4.      Gleichzeitige Wellenerscheinungen anderenorts (u.a. Erreichbarkeit anderer Wellensysteme im reinen Segelflug)

5.      Gefahrenmomente bei Leewellenflügen am Ostharz

Bei Betrachtung der ersten Abbildung erkennt man bereits eine Besonderheit die das Wellenfliegen von Aschersleben aus, zunächst etwas kompliziert anmuten läßt. Obwohl die Wellenwolken (im Bild an der westlichen Platzgrenze) bei SW-Lagen häufig direkt über dem Flugplatz stehen, ist der Auslöser, also der Harz mit seinem höchsten Berg dem Brocken, weit entfernt und nur schemenhaft (im Bild markiert und mit Pfeil gekennzeichnet) zu erkennen. Dieser scheinbare Nachteil hat die interessierten Flieger von Anfang an sehr intensiv über optimale Einstiegsvarianten in die Welle nachdenken lassen. Das Entfernungsmanko wird aber durch einen wesentlichen Vorteil ausgeglichen, nämlich das in Aschersleben auch bei Starkwindwetterlagen, im Gegensatz zu einigen näher gelegenen Flugplätzen, immer noch gestartet werden kann (Windphänomene in Aschersleben).

 

Abb. 2: Anströmung der Mittelgebirge bei SW-Wind.

Abb. 3: Meteorologische Parameter der Wellenentstehung am Harz (nach Lindemann 1999).

 Am Harz können bei sehr unterschiedlichen Windrichtungen Wellenflüge durchgeführt  werden (siehe Berichtssammlung). Die ergiebigsten Flüge mit den meisten Kilometern und den größten Höhen (Carsten Lindemann erreichte am 30.10.2000 im Lee des Brocken 7260 m) wurden ausschließlich bei SW-Lagen durchgeführt. Eine Gemeinsamkeit die der Harz auch mit dem Riesengebirge und teilweise mit dem Thüringer Wald teilt (vergl Abb. 2). Für die Sudeten hat Küttner 1934 die meteorologischen und physikalischen Bedingungen für die Entstehung der Leewellen ausführlich beschrieben und selbst Flüge zur Bestätigung seiner theoretischen Beschreibungen durchgeführt. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Parameter für mittlere und gute Leewellen am Ostharz wurden von Lindemann 1999 veröffentlicht (vergl. Abb. 3).

Wenden wir uns nun den „typischen Wellenwetterlagen“ zu.

Abb. 4: Satellitenbild von einem typischen Wellenereignis am Riesengebirge.

Abb. 5: Satellitenbild von einem typischen Wellenereignis am Harz.

Die Wellenlagen für den Harz, wie auch für das Riesengebirge, sind präfrontale Situationen vor dem Durchgang der Kaltfront auf der Vorderseite eines Tiefs. Bei entsprechender Verteilung der Druckgebilde ist dann mit starkem Südwestwind zu rechnen. In der Abbildung 4 vom 14.03.2002 ist auf dem Satellitenbild die präfrontale Wellenbildung (mehr als 8 Wellenwolkenformationen) im Lee des Riesengebirges zu erkennen. Das Hoch im Südosten sorgt für eine Absinkinversion bzw. für eine stabile Schichtung, die besonders im Winterhalbjahr im Niveau um 1300 m wahrscheinlich ist, und eine notwendige Vorraussetzung für ein schwingungsfähiges System bildet. Im nächsten Bild (Abbildung 5) vom 02.02.2002 sind typische Wellenwolken im Lee des Harzes zu sehen. Diese ausschließlich durch den Harz hervorgerufen Resonanzschwingungen haben eine unglaublich weite horizontalen Ausbreitung . Die letzten Wolkenformationen sind bis weit auf die Ostsee (!) hinaus, erkennbar.

An diesem bewußten 2. Februar letzten Jahres wurde, mit Start in Aschersleben, der Nordharz in seiner gesamten Längsausdehnung (Abb. 6) im reinen Segelflug und ausschließlich in Wellenaufwinden  erflogen. Das bestes Steiggebiet fand sich im Lee des Brocken (vergl. auch Abb. 8). Hier mußte in knapp 3000 m bei Steigwerten von 1m/s  abgebrochen werden (keine Freigabe ohne Transponder). Bei einer Flugzeit von über 4 Stunden hätte man noch über den Harz hinaus weiter nach Westen fliegen können. Die Wellenformationen überragten den Harz in westliche Richtung ( siehe Abb. 7 - Bild rechts oben – sowie Abb. 15 ).

Beim Rückflug von Goslar nach Aschersleben (73 km) wurde der Startflugplatz in noch 2000 m Höhe erreicht.

 Abb. 6: Loggerschrieb des Wellenfluges vom 02.02.02.

 Abb. 7:  (links) Die zum Flug vom 02.02.02 gehörenden Bilder.

 Kommen wir nun zu den Welleneinstiegsorten und -einstiegshöhen bei SW-Windwetterlagen.

Wie bereits am Beispiel des 2. Februar erwähnt, ist das direkte Lee des Brocken ein insgesamt zuverlässiger Einstiegsort. Man könnte fast meinen „da geht’s immer “!

Trotzdem sollte nicht unerwähnt bleiben, das der Welleneinstieg, quasi direkt über dem Brocken, zeitlich unterschiedlich gut gelingen kann. Der Aufwind scheint zu „pulsieren“ !?  Man sollte mit einer Höhenreserve ankommen und zunächst auch bei schwachen Steigwerten, ohne ungeduldiges Suchen, erst einmal Höhe machen. Am 2. Februar mußten zwei andere Segler, die nach mir den Einstieg am Brocken versuchten, zu den Kühen.

  

Abb. 8: Typische Einstiegsorte in die Wellensysteme am Harz mit Einstiegshöhe.

Abb. 9 : 3-D-Darstellung der Flugverläufe.

Weitere erflogene Einstiegsorte bei Südwestwind sind :

Verbindet man diese drei Einstiegspunkte zu einem Dreieck (vergl. Abb. 9 oben), dann lassen sich anhand dieser Figur die beobachteten Verlagerungstendenzen der Wellen bei Windrichtungsvariationen besser beschreiben. Die meisten erflogenen Einstiegspunkte liegen auf der längsten Seite dieses Dreiecks, also auf der Linie zwischen dem Punkt nordöstlich Ballenstedt und der Mülldeponie bei Werningerode.

  

Abb. 10: Verlagerung der Wellensysteme nach Westen bei starker Süd-Komponente des Windes.

Abb. 11: Bilder des Fluges vom 24.01.02 mit Aufstieg in der Föhnlücke (rechts). Die Föhnlücke schloß sich                       am 24. Januar ziemlich schnell von Osten nach deutlicher Westdrehung des Windes und Zusammenbruch der Welle.

Bei der systematischen Analyse der Flüge fiel uns auf, das bei einer zunehmenden Süddrehung des Windes eine Verlagerung der Wellen nach Westen eintreten kann. Diese Verlagerung scheint entlang der Linie der längsten Seite des bereits beschriebenen Dreiecks zu erfolgen und sollte bei der Suche der Wellenaufwinde am Ostharz berücksichtigt werden.

  

Abb. 12:  Darstellung der Flüge vom 08.02.01 mit den Einstiegsorten, -zeiten und –höhen.

Abb. 13:  Auf dem Bild ist die Verlagerung der Wellensysteme bei Süddrehung des Windes aufgezeichnet.

Die Gefahrenmomente bei Leewellenflügen

Bei dem in der Abbildung 12 dargestellten Flug von Carsten Lindemann (blau) am 08.02.01 wurden übrigens über 6000 m Höhe erreicht. Es wurde ein Flugplan aufgegeben und der Motorsegler war mit Transponder und Sauerstoffanlage ausgerüstet.

An dieser Stelle muß der Sicherheitsaspekt beim Wellenfliegen unbedingt erwähnt werden.

Wie soll die Vorbereitung solcher Wellenflüge aussehen ?

 Neben den bereits geschilderten allgemeingültigen Dingen sind für Höhenflüge in einer Welle u.a. folgende zusätzlichen Punkte besonders wichtig:

Deshalb immer das Föhnloch beobachten und rechtzeitig absteigen !

Abschließend sei auch der abendliche Abstieg nach einem langen Wellenflug kurz angeführt. Aus technischen und strukturellen Gründen empfiehlt es sich, möglichst langsam abzusteigen, damit das Material des Segelflugzeuges Zeit hat, sich den veränderten Temperaturbedingungen anzupassen . Besondere Aufmerksamkeit sollte der schnellen Abenddämmerung in den Gebirgstälern geschenkt werden. Während in 3.000 m Höhe die untergehende Sonne noch sichtbar sein kann, ist es am Landeplatz schon bedeutend dunkler.

Rechtzeitiger Abstieg aus großen Höhen !

Pro 1.000 Höhenmetern sollten 3-5 Minuten Abstiegszeit einkalkuliert werden, um eine Überbeanspruchung des Flugzeuges zu vermeiden und noch bei guten  Lichtverhältnissen den Landeanflug durchführen zu können

Achtung: Falls immer noch starker Bodenwind herrscht, muss der Lande-anflug dementsprechend angepasst und eingeteilt werden. 

Obwohl die verschiedenen Wellensysteme sehr unterschiedliche Ausprägung und Besonderheiten aufweisen, sind die in diesem Abschnitt aufgeführten Grundregeln und Verhaltensmassnahmen allgemein gültig und sollten bei Wellensegelflügen unbedingt beachtet werden.

Visionen

Zum Abschluß meiner Betrachtungen zum Wellensegelfliegen am Ostharz sei mir noch ein Blick in die Zukunft gestattet.

 

Abb. 14: Das Bild zeigt Wellenflüge die unter vergleichbaren Bedingungen in unterschiedlichen Regionen durchgeführt worden sind. Visionär ist ein Dreieckflug als fiktive Verbindung der Wellengebiete eingezeichnet.

  

Abb. 15: Im rechten Foto sind Wellenwolken zu erkennen, die weit über die westliche Begrenzung des Harzes reichen.

Die in der Abbildung 14 dargestellte Vision, die Wellengebiete durch einen Streckensegelflug miteinander zu verbinden,  sollte als Herausforderung verstanden werden. Wenn wir mehr über die Zusammenhänge der Leewellenentstehung und der Möglichkeiten ihrer segelfliegerischen Nutzung wissen wollen, müssen wir den in der Abbildung 15 suggerierten Schritt tun.